Teilprojekte
Wir schaffen einen Überblick über die einzelnen Projektphasen.
Drei der Teilprojekte von COLLAPSE widmen sich der zentripetalen Kraft des Autornamens bei der Zuschreibung griechischer Texte (I.1-3). Drei weitere Teilprojekte analysieren Dynamiken der Anonymisierung und rücken die zentrifugalen Kräfte der Anonymität in den Fokus (II.1-3).
Teilprojekte
Teilprojekt I.1 Appropriating the author, collaborating with the past in pseudepigraphical Imperial Greek Poetry
Teilprojekt I.1, Dissertationsprojekt 1 befasst sich mit den Impersonierungen modellhafter auktorialer Rollen und dichterischer Positionen in der pseudepigraphischen Epik und Lehrdichtung der Kaiserzeit. Es untersucht, wie diese Gedichte Werke eines bestimmten Autors expansiv fortführen, sich ein bestimmtes Autorbild aneignen und dieses zugleich transformieren. Bislang liegen nur Einzelstudien zu diesen Gedichten und ihrer Poetologie vor; eine vergleichende Studie, die übergreifende Schwerpunkte setzt, fehlt bislang. Das Teilprojekt wird ein neues Licht auf die dabei eingesetzten poetischen Mechanismen werfen, indem es eine Typologie verschiedener Autorenkooperationen erstellt und darlegt, wie die kaiserlichen Dichter sich frühere Autoren aneigneten, wobei sie deren Dichtung imitierten, transformieren oder überbieten wollten.
Teilprojekt I.2 The abridging Muse – exploring the poetics of elleipsis
Teilprojekt I.2, Dissertationsprojekt 2 befasst sich mit griechischen Texten der Kaiserzeit, die in der Forschung bisher unterrepräsentiert sind. Dabei handelt es sich um Textkürzungen und Paraphrasen bestimmter Werke, nach Art eines antiken Reader’s Digest. Ihre anonymen Autoren wurden in der Regel wegen ihres vermeintlich minderwertigen und schmucklosen Stils oder ihrer ‘elliptischen’ literarischen Qualität herabgesetzt. Das vorliegende Projekt unternimmt dagegen eine Neubewertung der literarischen und ästhetischen Strategien pseudepigraphischer Miniaturtexte. Indem sie ein größeres Werk zusammenfassen, produzieren spätere Autoren ‘verdichtete’ und selektive, aber dennoch innovative Texte und wollen sich über den Anspruch, eine unverzichtbare Quintessenz zu bieten, verewigen. Insgesamt werden verschiedene kleine Textformen betrachtet, die im Nachhinein ‘unter dem Mantel’ berühmter Autoren geschrieben wurden.
Teilprojekte I.3.1 und I.3.2 Transforming the Imperial Prose author from within – the mechanics of Imperial and Late Antique pseudepigrapha in the context of the larger works of Lucian and Plutarch
Die Teilprojekte I.3.1 und I.3.2, Dissertationsprojekte 3/4 befassen sich mit Texten oder Textgruppen, die im größeren Werkkontext der prominenten kaiserzeitlichen Prosaschriftsteller Lukian und Plutarch überliefert wurden. Sie untersuchen die betreffenden pseudepigraphischen Texte im Verhältnis zu anderen Werken des jeweiligen Autors. Darüber hinaus fragen sie nach Gemeinsamkeiten oder Unterschieden sowie nach der Stabilität oder Fragilität von Grenzen innerhalb solcher Ansammlungen früherer und späterer Texte. Statt unkreative Texte hervorzubringen, produzierten die pseudepigraphischen Autoren bereits früh anerkannte Experimente unter dem Namen eines Meister-Autors – oder ihre Texte wurden bald als genuin ‘lukianisch’ oder ‘plutarchisch’ und damit als würdig erachtet, in das Korpus aufgenommen zu werden. Insgesamt untersuchen beide Teilprojekte die literarischen Strategien kooperativen Schreibens, um die ästhetischen, transformativen und poetischen Mechanismen von Pseudepigraphie besser bestimmen zu können.
Teilprojekt II.1 Against the despotism of the author – contrasting pseudepigrapha with anonymous texts
Teilprojekt II.1, Postdoc-Projekt 1 befasst sich mit Sammlungen von adespota, d.h. ‘herrenlose’ Texten. Es behandelt dichterische Kompositionen (Werkteile oder Fragmente), die in griechischen Texten der Kaiserzeit anonym überliefert wurden. Damit stellt das Projekt eine der größten – und ältesten – Obsessionen der Altertumswissenschaft in Frage: einen Text mit dem Namen eines Autors zu verbinden. Das Projekt untersucht darüber hinaus das Verhältnis zwischen Gedichten, die der herrschende Autorzentrismus im Nachhinein berühmten Autoren zuschrieb, und Zitaten anonymer Texte, die damit keinem Urheber zugeordnet wurden. In der Antike, lange vor der Einführung des Urheberrechts, erschienen ‘herrenlosen’ Texte als ein universelles Gemeingut.
Teilprojekt II.2 Impersonating the tradition – masterless knowledge in Greek scientific writing
Teilprojekt II.2, Postdoc-Projekt 2 beschäftigt sich mit autorlosem Wissen in griechischen Wissenschaftstexten. Viele Wissenstexte der Kaiserzeit wurden entweder primär oder sekundär auf berühmte Autoren zurückgeführt. Andere Schriften schienen die Obsession der Zuweisung an eine Autorität nicht zu teilen; das in ihnen enthaltene Wissen besaß somit Gültigkeit auch ohne eine auktoriale Verankerung. Das Projekt untersucht die mannigfachen Gründe einer solchen Anonymität in Wissenstexten und will Impulse für ein besseres Verständnis der Mechanismen geben, durch die autorlose Werke und Sammlungen – die oft als ‘unliterarisch’ abgewertet werden – das ‘science writing’ in der griechischen Kaiserzeit bereichern.
Teilprojekt II.3 A brief history of anonymous Greek literature
Teilprojekt II.3, PI-Projekt führt die Stränge der anderen Teilprojekte von COLLAPSE zusammen. Es gibt einen Überblick über die anonyme griechische Literatur der Kaiserzeit und damit Texte verschiedener Bereiche und Wissensgebiete, darunter auch religiöse (z.B. frühchristliche) und wissenschaftliche Schriften. Zugleich werden diachrone Verbindungen mit anonymen Traditionen und autorlosen Texten früherer Epochen der griechischen Literatur hergestellt.
Alle Teilprojekte von COLLAPSE sind eng miteinander verbunden. Denn vermeintliche Autorzuschreibung bzw. Autorzentrierung (insb. Teilprojekte I.1-3) und Anonymität (insb. Teilprojekte II.1-3) sind zwei Seiten derselben Medaille. Die Teilprojekte I.1-2 legen die Grundlagen für COLLAPSE in komplementärer Weise. Während I.1 die Erweiterung kanonischer Texte in der pseudepigraphischen Literatur der Kaiserzeit durch Techniken der Fortführung oder Variation analysiert, widmet sich I.2 komplementär Kürzungen und Miniaturisierungen. Die beiden Teilprojekte I.3.1 und I.3.2 verbinden wiederum beide Stränge und suchen nach Pseudepigraphie und Autorfiktionen in den Mischkorpora von Lukian und Plutarch.
Bei allen genannten Teilprojekten stehen die zentripetalen Kräfte des Autornamens und die Infragestellung der Grenzen zwischen verschiedenen Autoren im Mittelpunkt. Ähnlich wie bei der Beziehung zwischen Autor und Erzähler sowie der Verschachtelung verschiedener Aussageinstanzen konnten antike Rezipienten zwischen auktorialen Vormodellen und solchen Texten unterscheiden, die diese Modelle gekonnt aufgriffen, nachahmten oder mit ihnen konkurrierten. Obwohl dabei die Grenzen zwischen primärer Autorschaft und Autorfiktion zu verschwinden schienen, billigte das Publikum gerade eine solche Grenzüberschreitung. Davon ausgehend beschäftigen sich die Teilprojekte II.1-3 mit den Fliehkräften der Autorschaft und erkunden die Zusammenhänge zwischen Pseudepigraphie und Anonymität. II.1 befasst sich mit komplementären Verfahren in poetischen Texten, II.2 mit griechischen Wissenstexten der Kaiserzeit.
Alle Fäden, die in den jeweils anderen Bereichen gesponnen werden, laufen in jedem einzelnen Teilprojekt wiederum zusammen, wie am Beispiel von II.2 deutlich wird: Mit I.1 teilt dieses Projekt das Thema der durch ergänzende Texte angereicherten Traditionen. Mit I.2 teilt es die Analysen von Textverkürzungen wie Epitomai oder Synthesen. Wie I.3.1 und I.3.2 untersucht es pseudepigraphische Texte in größeren, gemischten Korpora. Mit II.1 und II.3 schließlich verbindet es die vergleichende Untersuchung zugeschriebener sowie anonymer Texte. Wie aus diesen Verflechtungen innerhalb von COLLAPSE deutlich wird, stehen alle Teilprojekte in engem Dialog und ständigem Austausch, was schließlich durch II.3 dokumentiert wird.